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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 31.05.2000
Aktenzeichen: 12 TZ 119/00
Rechtsgebiete: AuslG, DVAuslG


Vorschriften:

AuslG § 96 Abs. 4
AuslG § 20
DVAuslG § 28 Abs. 4
Die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach § 96 Abs. 4 AuslG ist nicht davon abhängig, dass die Voraussetzungen des § 20 AuslG erfüllt sind.
Gründe:

Der Antrag ist zulässig (§ 146 Abs. 5 VwGO), aber nicht begründet; denn mit ihm ist ein Grund, der gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO die Zulassung der Beschwerde rechtfertigen kann, nicht dargetan.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann anzunehmen, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Hess. VGH, 04.04.1997 - 12 TZ 1079/97 -, EZAR 625 Nr. 1 = NVwZ 1998, 195 = HessJMBl. 1997, 768). Die zur Auslegung des Begriffs der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG entwickelten Grundsätze können zur Auslegung von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit der Maßgabe herangezogen werden, dass die Entscheidung über die Zulassung der Berufung weniger eilbedürftig ist als die Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO sowie in abgabe- und asylrechtlichen Eilverfahren (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Das Rechtsmittelgericht muss bei der Prüfung anhand der mit dem Zulassungsantrag vorgetragenen Beanstandungen zu der Meinung gelangen, dass das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder - anders formuliert - das erstinstanzliche Gericht unrichtig entschieden hat (vgl. Sendler, DVBl. 1982, 157). Mit dieser Auslegung wird dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziel entsprochen, mit Hilfe des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an die gefestigte Rechtsprechung zu dem Begriff der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung (vgl. dazu Schenke, JZ 1996, 1155 m. Nachw. d. Rspr. u. der davon abw. Lit. in Fußn. 729, 730; zu Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vgl. BVerfG, 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 166 = EZAR 632 Nr. 25) anzuknüpfen, die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen (vgl. dazu Sendler, a.a.O.) und grob ungerechte Entscheidungen zu korrigieren (vgl. dazu BT-Drs. 13/3993 S. 13). Die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ist aber damit nicht auf solche Fälle beschränkt, die dem Rechtsmittelgericht grob ungerecht gelöst erscheinen (ähnlich Hess. VGH, 17.02.1997 - 14 TZ 385/97 -); denn die für den Gesetzgeber ersichtlich maßgebliche Rechtsprechung zu § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO setzt eine derartige qualifizierte materielle Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht voraus. Die ernstlichen Zweifel müssen an der Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen; ob sich die Entscheidung trotz formeller oder materieller Fehler letztlich doch als richtig erweist, ist im Zulassungsverfahren von Amts wegen anhand der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu prüfen (Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 - m.w.N.; Hess. VGH, 15.07.1997 - 13 TZ 1947/97 -, HessJMBl. 1997, 818; a. A. VGH Baden-Württemberg, 22.10.1997 - NC 9 S 20/97 -, NVwZ 1998, 197).

Dabei hat sich das Gericht auf die Darlegungen des jeweiligen Antragstellers, aus welchem Grund einzelne entscheidungstragende Feststellungen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen, zu beschränken (Hess. VGH, 08.07.1997 - 13 TZ 2135/97 -) und seiner Prüfung die im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geltende Sachlage zugrunde zu legen (vgl. Hess. VGH, 01.04.1998 - 12 TZ 1256/98 -).

Das Vorbringen der Antragsgegnerin trägt die Annahme ernstlicher Zweifel im vorstehenden Sinne an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Ablehnung der von der Antragstellerin begehrten Aufenthaltsgenehmigung offensichtlich rechtswidrig ist. Denn der Antragstellerin war nach Maßgabe des § 96 Abs. 4 AuslG eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Nach dieser Norm wird unter anderem türkischen Staatsangehörigen unter 16 Jahren, die vor dem 15. Januar 1997 vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit waren und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 AuslG eine Aufenthaltsgenehmigung abweichend von § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG erteilt. Diese Voraussetzungen erfüllte die Antragstellerin. Die am 26. November 1981 geborene Antragstellerin bedurfte zum Zeitpunkt ihrer Einreise am 21. Juni 1996 keiner Aufenthaltsgenehmigung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 DVAuslG a.F.). Sie war ausweislich der Anmeldeunterlagen im Besitz eines türkischen Reisepasses, und ihr Vater, dem in der Zwischenzeit eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, dürfte daher zu diesem Zeitpunkt eine Aufenthaltsgenehmigung besessen haben. Diese Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung endete zunächst am 15. Januar 1997 aufgrund einer Verordnung nach § 3 Abs. 4 AuslG zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 11. Januar 1997 (BGBl. I S. 4). Die Antragstellerin hat sich dann aber zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig im Sinne des § 96 Abs. 4 AuslG im Bundesgebiet aufgehalten. Denn sie bedurfte bis zum 31. Dezember 1997 ebenfalls noch keiner Aufenthaltsgenehmigung (§ 28 Abs. 4 DVAuslG in der Fassung der zuletzt genannten Verordnung, deren Voraussetzungen sie erfüllte). An dem aufenthaltsrechtlichen Status der Antragstellerin hat sich zum Zeitpunkt der Stellung ihres Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vom 26. Mai 1997 nichts geändert. Denn zu diesem Zeitpunkt galt die 8. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 2. April 1997 (BGBl. I S. 751), die unter anderem für dort näher bezeichnete Personen die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung von Amts wegen bis zum 30. Juni 1998 vorsah, deren Voraussetzungen die Antragstellerin ebenfalls erfüllte; denn insoweit gab es keine Unterschiede inhaltlicher Art zu der Verordnung vom 11. Januar 1997. Selbst wenn man annehmen würde, dass durch die anschließende und hier streitige Ablehnung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung die Befreiung nach dieser Norm vorzeitig geendet hätte, weil die Antragstellerin nunmehr aufgrund eines Verwaltungsakts ausreisepflichtig geworden wäre (§ 28 Abs. 4 Satz 5 Nr. 2 DVAuslG), spielt dies für die im Rahmen dieses Eilverfahrens zu treffende Entscheidung letztlich keine Rolle. Denn die Antragstellerin hatte durch den zum 1. November 1997 angeführten § 96 Abs. 4 AuslG (Gesetz v. 29.10.1997, BGBl. I S. 2584) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung erworben; die Antragstellerin erfüllte zu diesem Zeitpunkt nach den obigen Ausführungen alle Voraussetzungen dieser Norm. Diese Vorschrift privilegiert nämlich die ihr unterworfenen Jugendlichen. Nach der früheren Rechtslage bestand trotz der Befreiung nach § 2 Abs. 2 DVAuslG für die Ausländerbehörde die Möglichkeit, nach § 3 Abs. 5 AuslG den Aufenthalt des unter 16-jährigen zu befristen; im Rahmen dieser Entscheidung kam dann auch den Voraussetzungen des § 20 AuslG Bedeutung zu (vgl. BVerwG, 24.03.1998 - 1 C 5.96 -). Da von der Neuregelung alle Jugendlichen unter 16 Jahren aus den ehemaligen Anwerbestaaten erfasst sind, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, bedeutet dies, dass Jugendlichen, die unter Geltung der Genehmigungsfreiheit in das Bundesgebiet eingereist waren und bei denen die Ausländerbehörde von der Möglichkeit einer Befristung des Aufenthalts nach § 3 Abs. 5 AuslG gerade keinen Gebrauch gemacht hat, nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich im Bundesgebiet bleiben durften. Ohne diese Besitzstandswahrung hätte die Ausländerbehörde jeden Fall eines Jugendlichen, der von § 96 Abs. 4 AuslG erfasst ist, aufgreifen und über die Frage einer Befristung entscheiden müssen. Dies war vom Gesetzgeber, wohl auch im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle und dem damit verbundenen Arbeitsaufwand, aufgrund der Formulierung des § 96 Abs. 4 AuslG aber gerade nicht gewollt, so dass in Fällen dieser Art dann auch in diesem Zusammenhang keine Prüfung des § 20 AuslG mehr zu erfolgen hat. Unbenommen bleibt selbstverständlich eine Aufenthaltsbeendigung im Wege einer Ausweisung. § 96 Abs. 4 AuslG verleiht nach seinem Wortlaut Jugendlichen aus den ehemaligen Anwerbestaaten einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltsgenehmigung unter erleichterten Voraussetzungen (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., 1999, § 96 AuslG Rdnr. 10; GK-AuslR, § 96 AuslR Rdnr. 12; Hailbronner, Ausländerrecht, § 96 AuslG Rdnr. 23). Insoweit geht der Einwand der Antragsgegnerin, § 17 Abs. 1 AuslG, nach dessen Maßgabe eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 96 Abs. 4 AuslG erteilt wird, stelle eine Ermessensentscheidung dar, im Rahmen des § 96 Abs. 4 AuslG fehl. Keine Rolle spielt deshalb auch die in den Bescheiden herangezogene Sozialhilfebedürftigkeit der Antragstellerin. Denn die Regelversagungsgründe des § 7 Abs. 2 AuslG ergreifen nicht die Fälle, in denen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung besteht (Renner, a.a.O., § 7 AuslG Rdnr. 11). Aufgrund des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 96 Abs. 4 AuslG war es der Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung über den Genehmigungsantrag daher verwehrt, § 20 AuslG, der in dieser Norm nicht erwähnt wird, mit in die Überlegungen einzubeziehen (vgl. auch OVG Berlin, 20.05.1998 - 7 S 23.98 -, EZAR 024 Nr. 9 = InfAuslR 1998, 430).

Der Rechtssache kommt die ihr mit dem Zulassungsantrag beigelegte grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtsstreitigkeit nur dann, wenn sie eine rechtliche oder eine tatsächliche Frage aufwirft, die für die Beschwerdeinstanz entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf (ebenso für das Asylverfahren BVerwG, 31.07.1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 = EZAR 633 Nr. 9; Hess. VGH, 27.12.1982 - X TE 29/82 -, EZAR 633 Nr. 4 = NVwZ 1983, 237; Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13). Die Rechts- oder Tatsachenfrage muss allgemein klärungsbedürftig sein und nach Zulassung der Beschwerde anhand des zugrundeliegenden Falls mittels verallgemeinerungsfähiger Aussagen geklärt werden können.

Die von der Antragsgegnerin sinngemäß aufgeworfene Frage, ob § 20 AuslG auch in den Fällen des § 96 Abs. 4 AuslG zu berücksichtigen ist, rechtfertigt keine Zulassung der Beschwerde; denn diese Frage lässt sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen anhand des Gesetzes eindeutig dahin beantworten, dass es der Ausländerbehörde beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 96 Abs. 4 AuslG verwehrt ist, die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis unter Hinweis auf § 20 AuslG zu begründen.

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Antragsverfahrens beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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